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Wenn Journalismus zur Selbsterfahrung wird – die Y-Kollektiv-Reportage „AfD-Wähler und Geflüchtete – Wut oder Verzweiflung?“


Die Reportage „AfD-Wähler und Geflüchtete – Wut oder Verzweiflung?“, veröffentlicht vom Y-Kollektiv und abrufbar in der ARD-Mediathek, will nach eigenen Angaben „platten Klischees“ über Ostdeutsche und Ausländer auf den Grund gehen. Eine Journalistin, Lena Elfers, reist für zehn Tage in eine ostdeutsche Kleinstadt, um zuzuhören, zu verstehen, Brücken zu bauen. Soweit der Anspruch. Was aber tatsächlich gezeigt wird, ist (wie üblich) weniger eine Reportage, sondern vielmehr ein psychologisch gefärbter und leicht ekliger Selbstfindungstrip – irgendwo zwischen Betroffenheit, pädagogischem Gestus und inszenierter moralischer Überlegenheit.

Der Titel verspricht eine Spurensuche. Die Frage nach Wut oder Verzweiflung ist eine legitime – und notwendige – angesichts der tiefen gesellschaftlichen Spaltung, die sich nicht zuletzt im Erstarken der AfD ausdrückt. Doch statt sich dieser Frage nüchtern, neugierig und differenziert zu nähern, verheddert sich die Reportage im eigenen Anspruch. Es geht nicht um Verstehen, sondern um Bewertung. Nicht um Nähe, sondern um Haltung. Nicht um die porträtierten Menschen – sondern um die Reporterin selbst.

Schon die Bildsprache lässt keinen Zweifel daran, wer hier im Zentrum steht: Nahaufnahmen der Journalistin, Close-ups ihres nachdenklichen Gesichts, eingeflochtene Voiceovers mit persönlichen Reflexionen, die klingen wie aus einem Instagram-Tagebuch. Man sieht: Sie leidet. Sie zweifelt. Sie will das Gute. Ihre Überraschung über die Aussagen der Gesprächspartner wirkt naiv – oder gespielt. Ihre Reaktionen schwanken zwischen Enttäuschung und betretenem Mitgefühl. Immer ist klar: Die Reporterin ist moralisch auf der richtigen Seite. Und damit ist auch klar, wer es nicht ist.

Diese Form des „Haltungsjournalismus“ ist inzwischen gängige Praxis geworden – vor allem in öffentlich-rechtlichen Formaten, die ein jüngeres Publikum ansprechen sollen. Doch genau darin liegt das Problem: Was als subjektive Einfärbung journalistischer Arbeit verkauft wird, ist oft nicht mehr als performative Selbstvergewisserung. Die Haltung steht fest, bevor die erste Frage gestellt wird. Das Ergebnis: Ein journalistisches Format, das vorgibt, zuzuhören – aber eigentlich nur die eigene Position bestätigt sehen will.

Im Fall der Y-Kollektiv-Reportage wird das besonders deutlich. Die Menschen, mit denen gesprochen wird – ob AfD-Wähler oder Geflüchtete – erscheinen nicht als Subjekte mit eigener Stimme, sondern als Stichwortgeber für das Narrativ der Reporterin. Ihre Aussagen werden emotional gerahmt, selten hinterfragt, oft szenisch verkürzt oder mit Musik unterlegt, die die gewünschte Wirkung gleich mitliefert. So entsteht keine Reportage, sondern ein „Gefühlsstück“ – ein emotional gefärbter Essay über das Fremdsein, über Enttäuschung und über die eigene moralische Orientierung in einem als feindlich empfundenen Umfeld.

Und genau darin liegt die eigentliche Schwäche dieser Reportage: Sie behauptet, verstehen zu wollen – lässt aber von Anfang an keinen Raum für echte Ambivalenz. Wer mit der AfD sympathisiert, hat bei Lena Elfers bestenfalls Angst und Desinformation als Ausrede, schlimmstenfalls ist er ein verkappter Rassist. Komplexe Motivlagen, soziale Biografien, strukturelle Brüche – all das wird nicht wirklich ausgelotet. Stattdessen bleibt man an der Oberfläche. Oder besser gesagt: an der Projektionsfläche der Reporterin.

Besonders kritisch wird es, wenn journalistische Distanz vollends aufgegeben wird. Wenn die Kamera auf die Journalistin gerichtet bleibt, während Menschen ihre Sorgen schildern. Wenn die Emotionen von Lena Elfers wichtiger werden als die Aussagen ihrer Gesprächspartner. Wenn der journalistische Anspruch dem therapeutischen Bedürfnis weicht, sich selbst in der Welt zu verorten. Dann wird aus der Reportage ein Monolog. Und aus dem Zuschauer das Zahlschwein für die Selbsttherapie.

Natürlich darf Journalismus Haltung haben. Natürlich darf er auch subjektiv gefärbt sein. Aber er muss ehrlich sein in dem, was er tut. Und vor allem: Er muss die dargestellten Menschen ernst nehmen. Das bedeutet, ihnen Raum zu geben, sie nicht in einem vorgefertigten Raster abzuurteilen und sie nicht zum bloßen Material für eine moralische Dramaturgie zu machen. Wer wirklich verstehen will, warum Menschen die AfD wählen – oder sich von der Gesellschaft abgehängt fühlen –, muss bereit sein, Widersprüche auszuhalten. Ohne sofort zu moralisieren. Ohne sich selbst als Maßstab in Szene zu setzen.

Was fehlt in dieser Reportage, ist genau das: Mut zur Ambivalenz. Respekt vor den Gesprächspartnern. Und journalistische Redlichkeit. Stattdessen sehen wir ein sehr persönliches Stück Fernsehen, das vorgibt, etwas über „die anderen“ erzählen zu wollen – und dabei nur etwas über die Reporterin selbst verrät.

Das ist schade. Und gefährlich. Denn es vertieft genau die Gräben, die es eigentlich überwinden will. Es bestätigt die, die sich ohnehin nicht ernst genommen fühlen, in ihrer Ablehnung. Und es wiegt die anderen in einer moralischen Überlegenheit, die auf Dauer weder glaubwürdig noch hilfreich ist.

Was es bräuchte, sind Formate, die weniger fühlen – und mehr zeigen. Die nicht belehren – sondern befragen. Die nicht die Reporterin ins Zentrum rücken – sondern die Realität. Solange wir das nicht schaffen, bleibt das echte Verstehen auf der Strecke. Und die nächste „Reportage“ aus dem Prinzessinnenland ist wieder nur ein Spiegelbild ihrer Macher.

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