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Warum niemand an der Meinungsfreiheit interessiert ist

Meinungsfreiheit gilt als Grundpfeiler jeder Demokratie. Politiker beschwören sie, Medien schreiben sie sich auf die Fahnen, Bürger berufen sich auf sie. Doch kaum jemand meint wirklich, was er sagt. In der Praxis will jede Seite vor allem eins: die eigene Deutungshoheit sichern – und gegnerische Stimmen so weit wie möglich zurückdrängen.

Ob links, rechts, konservativ oder progressiv: Das Muster bleibt konstant. Wer sich auf der Gewinnerseite wähnt, entdeckt plötzlich Gründe, warum bestimmte Aussagen „zu gefährlich“ sind. Mal heißt es, man müsse die Demokratie vor „Hassrede“ schützen. Mal wird „Vaterlandsliebe“ bemüht, um Abweichler zu brandmarken. Das Etikett wechselt, das Prinzip bleibt: Kontrolle über den Diskurs ist Macht – und Macht teilt man nicht freiwillig.

Die Heuchelei der Mächtigen

Politische Systeme predigen Toleranz, bis sie selbst das Ruder übernehmen. Revolutionäre, die gestern noch für offene Debatten standen, fordern morgen „Verantwortung“ – ein hübsches Tarnwort für Zensur. Medienhäuser sind keinen Deut besser. Redaktionen sprechen von Vielfalt, aber die Schlagzeile muss klicken und das Narrativ zum Geschäftsmodell passen. Abweichung gefährdet Reichweite und Werbeeinnahmen.

Ein aktuelles Beispiel

Vor wenigen Monaten brachte ein öffentlich-rechtlicher Sender ein neues Format an den Start, das politische Streitfragen offen diskutieren wollte. Die Sendung war ein Erfolg beim Publikum, zog aber in der eigenen Redaktion massiven Widerstand auf sich. Kolleginnen und Kollegen veröffentlichten einen offenen Brief: Die Moderation sei zu einseitig, zu undifferenziert, man müsse „journalistische Standards“ wahren.

Die Reaktion der Senderführung: Die Moderatorin und damti das Gesicht der Sendung wird mit ihrem Team abgesetzt. Fortan durfte sie nur noch Teile der Sendung verantworten, andere Moderatoren übernahmen den Rest. Die aufgebaute und erfolgreiche Marke „KLAR“ möchte man natürlich weiter nutzen, jetzt nur unter anderer Ägide. Faktisch war es eine Disziplinierung – eine Warnung an alle, die den redaktionellen Konsens zu stark dehnen.

Es ist ein Paradebeispiel für die subtile Form der Einschränkung, die in Demokratien üblich ist: kein offizielles Verbot, kein Gesetz, sondern sozialer und institutioneller Druck. Die Botschaft kommt an: Wer den Mainstream zu sehr verlässt, riskiert Sichtbarkeit und Karriere.

Psychologie der Unterdrückung

Hinter solchen Vorgängen steckt mehr als Kalkül. Menschen ertragen Widerspruch schlecht. Wer sich moralisch auf der richtigen Seite wähnt, fühlt sich berechtigt, den Rest zu belehren – und zu beschneiden. Das eigene Dogma erscheint als Wahrheit, der Widerspruch als Gefahr. Ob religiöse Fanatiker, politische Aktivisten oder vermeintlich aufgeklärte Intellektuelle: Alle glauben, sie verteidigten die Vernunft, während sie in Wahrheit nur den eigenen Glaubenssatz schützen.

Neue Werkzeuge, altes Spiel

Soziale Medien haben die Bühne vergrößert, nicht die Freiheit. Algorithmen belohnen Empörung, Plattformbetreiber setzen „Community Standards“, Regierungen fordern Löschpflichten. Offiziell geht es um Sicherheit. Tatsächlich verschiebt sich die Macht von der offenen Debatte hin zu Blacklists und Shadowbans – Zensur im Designeranzug.

Blick über den Atlantik

Auch in den USA zeigt sich, wie leicht sich ein eigentlich unabhängiges Aufsichtsorgan politisch instrumentalisieren lässt. Die Federal Communications Commission (FCC) soll neutral über Medien- und Telekommunikationsfragen wachen. Doch jede Regierung besetzt die fünf Kommissare neu – mit einer parteipolitischen Mehrheit. So kippen Grundsatzentscheidungen wie Netzneutralität oder Medienkonzentration regelmäßig, je nachdem, wer gerade das Weiße Haus kontrolliert.

Unter Präsident Trump etwa wurde die Netzneutralität 2017 zurückgenommen, was Kritiker als massiven Sieg großer Telekommunikationskonzerne sahen. Unter Präsident Biden läuft nun der Versuch, diese Entscheidung wieder zu revidieren. Die Mechanik ist immer dieselbe: Wer die Mehrheit in der FCC stellt, bestimmt den Kurs. Selbst in einem Land, das Meinungsfreiheit in der Verfassung verankert hat, nutzen Regierungen also Aufsichtsbehörden, um den öffentlichen Kommunikationsraum nach eigenen Vorstellungen zu formen.

Die Empörung der Rechten – Spiegelbild der Linken

Wer glaubt, nur progressive Milieus würden abweichende Stimmen ersticken, irrt. Auch auf der rechten Seite ist Empörung längst zum Geschäftsmodell geworden. Konservative und Rechtspopulisten brandmarken unliebsame Kunst, Wissenschaft oder Medienbeiträge als „ „Verrat an den traditionellen Werten“. Universitäten, Streamingdienste, Zeitungen – alle stehen unter Druck, wenn Inhalte nicht ins eigene Weltbild passen.

Das Muster ist identisch: Forderungen nach Boykott, Shitstorms, Kampagnen gegen einzelne Personen. Unter dem Banner der „wahren Meinungsfreiheit“ wird der Diskurs genauso verengt wie auf der Gegenseite. Der Unterschied liegt nur in den Schlagworten – mal heißt es „political correctness“, mal „Schutz der Nation“.

So wird deutlich: Nicht die Ideologie entscheidet über das Bedürfnis zur Zensur, sondern die Aussicht auf Macht. Wer sie hat, will sie verteidigen – egal ob mit Regenbogenfahne oder Patriotenschild.

Orchestrierte Empörung von rechts

Ein ebenfalls deutsches Beispiel zeigt, wie schnell sich rechte Empörung zu einer Kampagne verdichtet. Als die Journalistin Dunja Hayali in einer Anmoderation den rechtsextremen Aktivisten Charlie Kirk erwähnte und dessen Tod kommentierte, griffen einschlägige Netzwerke den Clip auf. Innerhalb weniger Stunden kursierten aus dem Kontext gerissene Zitate, begleitet von Hashtags, Boykottaufrufen und persönlichen Angriffen. Ein orchestrierter Shitstorm. Das Muster ist bekannt: Ausschnitt isolieren, Empörung entfachen, digitale Massen mobilisieren. Ziel ist nicht Diskussion, sondern unliebsame Stimmen und Meinungen wirtschaftlich wie sozial zu vernichten.

Konsequenz: Misstrauen

Wenn jede Seite Meinungsfreiheit nur als Taktik benutzt, bleibt am Ende nur Misstrauen. Bürger merken, dass Regeln willkürlich gelten. Heute trifft es den politischen Gegner, morgen einen selbst. Wer wirklich an Freiheit glaubt, müsste auch das ertragen, was er für falsch, geschmacklos oder gefährlich hält. Doch das ist unbequem – und deshalb selten.


Meinungsfreiheit ist kein harmonisches Ideal, sondern ein Stresstest für jede Gesellschaft. Solange Macht zählt, bleibt sie nur so lange gewährt, wie sie den Mächtigen nützt. Wer das Gegenteil behauptet, verwechselt Wunschdenken mit Realität.

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